Interview mit Ricardo Leppe

Interview mit Ricardo Leppe

🕓 Lesezeit circa 17 Minuten

Der Artikel „INTERVIEW MIT RICARDO LEPPE – Ich habe 50.000 Kinder befragt, wie sie sich lernen und Schule vorstellen“ erschien in der EN-Aktuell 02/23. In der Zeitschrift ist nur ein gekürzter Teil des Interviews zu lesen. Das komplette, ungekürzte Interview finden Sie hier – zum Anschauen, Anhören oder Lesen.

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Ricardo Leppe hat sich längst über die Grenzen seiner Heimat Österreich hinaus einen Namen gemacht. Ricardo träumt nicht nur von besseren Schulen und modernen Lernmethoden, er hat eine Vision von der Schule der Zukunft und zeigt unter anderem Lerntechniken, die Kindern nicht nur Spaß machen, sondern in einem Bruchteil der normalen Lernzeit zum Ziel führen. Wir hatten die Möglichkeit mit ihm zu sprechen.

Wer sich mit dem Schulsystem und mit alternativen Lernmethoden für Kinder beschäftigt und dazu im Internet recherchiert, der wird früher oder später auf Dich – Ricardo Leppe – und deinen Verein – „Wissen schafft Freiheit“ stoßen.

Zunächst einmal: du bist kein Lehrer. Auch kein Schuldirektor. Weshalb ist das Thema Schule, Kinder und Lernen so wichtig für dich geworden?

Vielen, vielen Dank für die Einladung und auch für deinen Einsatz in all diesen Bereichen, vor allem im Bereich der Bildung. Meine Eltern haben vom Bildungssystem nicht sehr viel gehalten und haben mich zu Hause unterrichtet. In Österreich darf man ja ganz normal Homeschooling machen und ich war eben die ersten 4 Jahre zu Hause und hatte 30 Minuten Unterricht pro Woche. Ja, jetzt werden sich viele fragen: Moment mal, 30 Minuten die Woche? Wie sollte das funktionieren? Das geht, wenn du Dich damit beschäftigst, wie das Gehirn gewisse Informationen aufnimmt. Und wir kennen alle diese sogenannten „Genie-Kinder“ früher bei „Wetten, dass ..?“. Die haben sich mal schnell eine 200-stellige Zahl oder Vokabeln merken können oder Ähnliches. Und ich sage: das sind keine Genie-Kinder! Die sind sehr mutig, dass sie sich ins Fernsehen getraut haben, aber sie sind genauso intelligent wie alle anderen Kinder. Die wussten „wie lerne ich was“. Und um dieses „Wie“ geht es hauptsächlich. Schau dir das an: Kinder können sich 500 Pokémon merken. Das ist überhaupt kein Problem für sie!  Aber drei Buchstaben einer Chemie-Formel sind ihnen zu viel? Wo liegt da die Logik? Es liegt also nicht am Kind, dass das Lernen nicht funktioniert! Und das wussten meine Eltern recht früh. Die wussten zwar nicht sehr viel über Lerntechniken, aber zumindest die Basics, und das hat schon mal sehr viel geholfen. Ich war eine Zeit lang aber normal in der Schule, also nach der Volksschule, in Deutschland Grundschule, Wobei „normal“ ein sehr dehnbarer Begriff ist, denn ich wurde in der Früh geweckt: „Guten Morgen Ricardo, möchtest du heute in die Schule gehen?“. Und wenn ich nein gesagt habe, galt nein. Und ich bin auch manchmal nach der dritten Stunde wieder nach Hause gegangen, weil ich gesagt habe: Mir ist langweilig und ich habe es verstanden, ich muss das nicht nochmal üben.

Aber das ging ja nicht nur dir so. Wenn man die Kinder fragt, ob Schule Spaß macht und ob sie gerne in die Schule gehen, würde ich sagen, dass die Mehrheit das wahrscheinlich verneint. Woran liegt das? Haben wir so schlechte Lehrer? 

Riesen anderes Thema. Wenn du die Kinder fragst, wer gerne in die Schule geht, bin ich ganz bei Dir. Ab dem 10. Lebensalter sind es über 99 %, die nein sagen. Wenn du die Kinder beziehungsweise Kunden fragst, wie viele Lehrer sie behalten würden, wenn sie entscheiden dürften, dann sind wir bei ein bis zwei. Also wenn du jetzt ein Geschäft aufbaust, fragst du die Kunden, wenn es nicht läuft, wenn die unzufrieden sind, was falsch ist. Wenn Du Erwachsene fragst, ich habe jetzt gerade ein anderes Interview gehabt und habe die Dame gefragt: „Wie viele gute Lehrer hattest Du?“. Sagt sie: einen. Im Durchschnitt hat man nur ein bis zwei. Das heißt, 90 % der Lehrer sind keine. Das heißt nicht, dass sie schlecht sind. Das heißt nicht, dass sie als Mensch weniger wert sind. Das heißt, du bist ein schlechter Lehrer. So wie ich zum Beispiel nicht gut singen kann, aber ich kann gut vor Kindern stehen. Und es braucht ganz andere Kriterien, wie man mit Kindern umgeht und was einen guten Lehrer ausmacht. Das hat mit der aktuellen Lehrerausbildung (es heißt ja Ausbildung, aus-mit-der-Bildung) nichts zu tun. Wir bräuchten ganz andere Grundkriterien. Und die Schule ist von Grund auf nicht für die Biologie eines Kindes aufgebaut worden. Es hat noch nie jemand die Kinder gefragt, wie sie sich Lernen und Schule vorstellen. Und das ist der Unterschied. Ich habe 50.000 Kinder befragt, im Alter von 6 bis 19, wie sie sich Lernen und Schule vorstellen. Nicht die Erwachsenen, nicht die Lehrer, nicht irgendeinen Politiker, nicht irgendeinen Professor, sondern nein, ihr! Ihr habt hundertprozentige Entscheidungsgewalt. Was würdet ihr tun? Und das war die Basis für meine Modelle mit Schule der Zukunft in zwei Schritten.

Das macht mich jetzt natürlich neugierig. Kannst du kurz zusammenfassen, was die Kinder geantwortet haben?

Ja, absolut menschliche Basics. Erstens: Wir wollen Spaß haben. Zweitens: Wir wollen nur noch Dinge lernen, die wir im Alltag umsetzen können. Das heißt, kein Kind hat sich je beschwert bei mir und gesagt, ich hätte am liebsten nie Lesen gelernt. Weil sie sehen, dass Papa liest, Mama liest, Lehrer liest, ich muss lesen. Überall im Leben steht etwas, lesen zu können macht Sinn! Sie haben sich beschwert über diese ewig langweiligen, strunzdummen Reclamheftchen, die keine Sau interessieren. Sie haben sich beschwert, dass der Lehrer das Lesen langweilig beibringt, aber nicht über Lesen lernen, weil sie verstanden haben, das sie das im Leben brauchen. Aber wie oft hast du die binomischen Formeln in den letzten Jahren verwendet? Wie oft hast du die große Lösungsformel angewandt? Weißt du noch, was die Mol-Masse ist?

Ich frage mich bis heute, wofür man eine Kurvendiskussion braucht.

Gar nicht! Zur Verdummung der Kinder brauchst du das, sonst gar nicht. Und über all diese Dinge haben sie sich beschwert. Sie wollen mehr Sport, mehr Musik, mehr Kunst. Sie wollen Autos reparieren lernen, sie wollen Garten anpflanzen. Sie wollen alles, was sie sehen, dass sie das im Leben brauchen. Wenn sie sehen, ich muss einen Motor verstehen, weil ich in zehn Jahren den Führerschein mache und ich Papa sehe, der mit dem Auto fährt, wollen sie es. Wenn du ihnen aber nur sagst, sie müssen in Physik etwas lernen, wo sie keinen realen Sinn dahinter sehen, dann verneinen sie das natürlich. Und dann müssen auch die Eltern aufhören mit diesem blöden Satz: „Du lernst fürs Leben, nicht für die Schule.“. Da sagen alle Kinder nach dem zehnten Lebensjahr: Die lügen mich alle an. Weil alles, was ich gerade lerne, nutzt niemand. Ich sehe die Erwachsenen nicht. Ich komme nie nach Hause und sehe die Eltern im Chemiebuch blättern und lachen. Und ich sehe sie nie in meinem Mathebuch blättern und dann irgendwas damit ausrechnen. Das heißt, für die Kinder sind das alles Lügen. Mit mir haben sie da ganz offen darüber gesprochen. Das heißt, wir müssen ganz andere Dinge angehen und ich habe auch ganz andere Schulfächer, die ich empfehle und die wir durchsetzen.

Darf ich da kurz einhaken? Also, Spaß verstehe ich sofort, aber es gibt doch auch viele Dinge, die man einfach stupide auswendig lernen muss. Zum Beispiel Vokabeln für Englisch. Wenn ich Englisch reden möchte, muss ich die Vokabeln kennen und muss die auswendig lernen. Oder Mathe-Formeln auswendig lernen. 

Nein, stimmt überhaupt nicht. Was war die erste Fremdsprache, die Du gelernt hast?

Die erste Fremdsprache? Englisch.

Stimmt nicht! Deutsch. Du konntest vorher nur „Babyisch“, da war gar nichts. Hast du Deutsch gelernt mit Vokabeln, Grammatik, Rechtschreibung, Büchern oder Lehrern?

Natürlich nicht.

Natürlich nicht! Es gibt auch ganz viele Kinder, die wachsen zwei- und dreisprachig auf. Die können mit vier Jahren drei Sprachen, haben nicht eine Vokabel und nicht eine Grammatikregel gesehen und können das fließend sprechen. Wie erklärst du dir das? Das ist doch komisch, oder? Es gibt tolle Physiker, die können nicht eine Formel. Ich kann in Physik echt viel, ich kann die meisten Formeln nicht.

Wie würde ein Englischunterricht bei dir aussehen?   

Dezent anders. (lacht) Wie hat die vera Birkenbihl schon gesagt. „Um eine Sprache zu lernen, sind zwei Dinge verboten: Vokabeln lernen und Grammatik.“ Daran scheitern alle. Jeder, der seine Muttersprache gelernt hat, ist ein Sprachengenie. Das ist wissenschaftlich so, weil es die schwierigste Sprache ist. Der erste Schritt ist immer das Schwierigste, wie beim Sport. Und das wäre jetzt ein bisschen lang, wenn ich das versuche hier zu erklären. Aber: das effizienteste Sprachenlernen ist das, was Papa und Mama mit ihren Kindern machen. Das geht zuerst über viel Hören, dann direkt ins Sprechen reinkommen. Beim Sprechen zum Beispiel auch ganz viele Kieferbewegungen nachahmen.

Und wenn ich jetzt Englisch lernen möchte, ich frag Dich jetzt mal: Haben Deutsch und Englisch das gleiche ABC?

Fast.

Was heißt „fast“?

Nicht alles ist gleich. Das „th“, wir haben Umlaute im Deutschen.

Nein, das ist alles anders. Es ist gar nichts gleich.

Weil es anders ausgesprochen wird? 

Na sicher! Und die meisten verstehen das nicht einmal. Wenn du das nicht verstehst, dann hast du so ein deutsches Politikerenglisch. „Wi hef se…“ etc, das ist zum Fremdschämen. Wenn du jemandem ins Gesicht siehst, der „ABC“ auf Deutsch sagst und dann auf Englisch „ABC“, dann weißt Du, da läuft alles anders. Apple und Apfel. Wir müssen eine Sprache über die Mundbewegungen lernen und über das Zuhören. Deswegen sagen die Mamis etwas und tippen sich dabei auf die Lippe. Und genau so lernen wir das. Da sind wir nicht bei Vokabeln.   

Das erklärt auch, warum es so schwierig ist, Fremdsprachen am Telefon zu verstehen, weil ich das Gegenüber und dessen Lippen nicht sehen kann. 

Über Hören und über Sehen lerne ich in Wirklichkeit Sprachen. Und das, was Mamis mit ihren Kindern machen, mache ich mit Erwachsenen, mit durchschlagendem Erfolg. Und ich habe auch auf YouTube ein Video, wie ich das in der Schule mit Kindern mache. Jetzt können wir nicht alle zu Hause unterrichten, aber ich kann auch zeigen, wie das in der Schule besser funktioniert. Und ich kann zeigen, das machen einige Lehrer und Schulleiter schon seit Jahren, wie man den Jahresstoff in Englisch in sechs Wochen lernt, ohne Stress. Und ich habe die Bestätigung seit Jahren, dass das geht, das ist keine Theorie.

Also ganz konkret. Ich bin eine Mama, ich habe ein Kind, das in der Schule ist. Was kannst du mir ganz konkret raten, um es für mein Kind einfacher zu machen?

Meinst du jetzt in Englisch oder allgemein?   

Allgemein. Also alles, was du gerade erklärst, ist ja, dass es einfachere Wege gibt oder fortschrittlichere Wege gibt, um Schulstoff zu lernen. Was kann ich jetzt konkret machen als Mutter, wenn ich mein Kind da unterstützen möchte und es ihm einfacher machen will?

Schritt eins: du gehst mal bei uns auf die Homepage.   

Sag gleich mal, wie sie heißt. 

wissenschafftfreiheit.com. Bitte mit zwei „f“, das kommt von „schaffen“. Und dort steht gleich auf der Startseite: „Du bist neu hier? Bitte hier klicken“ Bitte klick dort drauf.

Lernen ist so ein riesiges Kapitel. Bei manchen liegt es an Angst, manche haben Blackouts, manche sind Frühentwickler, Spätentwickler. Der eine ist ein logischer Denker, der andere ist ein emotionaler Denker. Jeder ist auf einem anderen Stand. Ich kann dir nicht DIE Regel geben, wie Lernen bei allen funktioniert. Ich kann dir zeigen, wie es bei allen funktioniert, aber du musst raussuchen, welcher Typus dein Kind ist. Welchen Status hat dein Kind? Welches Problem hat dein Kind gerade? Aber was ich definitiv mitgeben kann, ist, wie Lernen grundsätzlich funktioniert. Und das ist für jeden, jedes Alter, jedes Geschlecht und die ganze Welt gleich. Und das ist sehr einfach. Wir lernen immer zuerst über die Beziehungsebene. Mag ich dich? Vertraue ich dir? Und es gibt keine stärkere Vertrauensebene als zwischen Mama und Kind und Papa und Kind. Das ist immer zuerst die Beziehungsebene. Wir kennen das alle. Wir haben einen Mathelehrer, den mögen wir, wir kapieren Mathe. Wir haben einen Mathelehrer, den mögen wir nicht, wir kapieren Mathe plötzlich nicht mehr. Das heißt, wir lernen immer zuerst über die Beziehungsebene. Bindung vor Weisung. Wenn ich keine Bindung aufgebaut habe, brauche ich denen nichts anweisen! Es wird nicht funktionieren, das ist immer in Gegenwehr! Zweitens ist dann die Vorbildebene. Und dann überprüft der Mensch: Lebt der das, was er sagt? Habe ich 150 Kilo und sage „Sport macht Spaß“, dann wird man mir nicht zuhören. Es muss dazu passen. Er muss das, was er sagt, leben. Kinder machen viel von dem, was wir ihnen zeigen und wenig von dem, was wir ihnen sagen. Und erst wenn diese zwei Punkte erfüllt sind, dann gehen wir ins Lernen hinein. Und beim Lernen braucht es vier weitere Aspekte, damit das Gehirn Informationen gut aufnimmt. Die Computerspiel-Hersteller und die Werbeindustrie haben das verstanden, denn das bleibt im Kopf drin das Zeug. Erstens: Wir lernen über Bilder. Zweitens: über Lustiges, Abstruses, Dämliches, und als Erwachsene auch über perverses Zeug. Drittens: über Emotionen. Und viertens: über Verknüpfungen.

Das sieht folgendermaßen aus. Du als Mama bringst deinem vierjährigen Kind etwas bei. Dann machst du Dinge bildhaft. „Schau mal Schatzi, das ist eine Spielkarte. Sieh mal Schatzi, das ist ein Telefon. So sieht ein Baum aus. Beobachte doch mal den schönen Regenbogen!“. Du machst Bilder. Du würdest nie sagen: „Das brauchst du mal in 24 Jahren, wenn du in China Architektur studierst im zweiten Semester und dein Taschenrechner zufälligerweise kaputt ist.“. Das ist ungefähr die Begründung, warum wir eine Kurvendiskussion können müssen. Das würdest du nie machen als Mama! Du würdest  deinem Kind immer Bilder geben oder den Satz sagen: „Stell dir vor…“. Zweitens: du machst Dinge lustig. Je jünger ein Lebewesen ist, egal ob Tier oder Mensch, desto lustiger reden wir mit ihm. Hast du einen erwachsenen Hund? „Sag mal, du bist ja ein schönes Prachtexemplar!“. Ist es ein Welpe, dann gehen wir im schrillen Singsang auf ihn zu: „Du bist ja knuffig, ich will dich knuddeln, komm gehen wir spielen!“. Und das Gleiche machen wir mit Kindern. Je jünger sie sind, desto lustiger sind wir, desto mehr blödeln wir mit ihnen. Und wir nennen es auch so: blödeln. Und schau dir das an, wenn dir was Blödes passiert in der Schule, der Lehrer fliegt hin, jemand baut Mist, jemand muss zum Direktor, jemand stellt einem das Bein: das bleibt im Kopf! Je blöder, desto besser. Schau dir Computerspiele an. Die haben das verstanden. Und deswegen blödeln die Eltern mit ihren Kindern.

Drittens: Wir emotionalisieren. „Schatzi, das hast du ganz toll gemacht! Ich bin sehr stolz auf dich. Zeig doch mal dem Papi, was du da Tolles gemacht hast. Nimm das morgen mit zu Omi, die wird sich freuen!“. Wir emotionalisieren. Viertens: Wir verknüpfen. Das Kind sieht etwas und kann es nicht einordnen. Dann kommen Sätze von uns Eltern wie: „Das kennst du von …“, „Mama nutzt das bei …“, „Papa hat das immer im Auto…“, „Das kennst du von…“ und „Das können wir nutzen für…“. Wir verbinden es mit Dingen, die das Kind schon kennt. Genauso geht Lernen. Und ich kenne kein Elternteil, der das nicht so macht. Alle machen das genauso, weil das aus der Biologie angelegt ist.

Jetzt sitzt die kleine Katharina mit 12 Jahren im Physikunterricht, und du siehst eine Physik-Formel, die der Lehrer hinschreibt. Dein Hirn fragt: Bildhaft? Nö! Lustig? Nö! Emotional? Nö! Verknüpft? Nö! Raus!. Das nennt man dann Bulimie-Lernen: reinstopfen, rauskotzen, keine Ahnung haben. Und dann später sagen: „Ja, ich war nicht so gut in Physik, ich bin kein Sprachtalent, mit Zahlen konnte ich noch nie so gut umgehen.“. So ein Schwachsinn! Das lag nie an dir. Du musst es gehirn- und kindgerecht machen. Wenn du 50 Jahre lang die Türklinken immer nach unten drückst und die Türen gehen jedes Mal auf. Und dann sagt dir irgendein Wissenschaftler, mit dem 50. Lebensjahr lässt das Gehirn ein bisschen nach. Und dann fängst du an, die Türklinke nach oben zu drücken, und dann sagst du: „ja, das liegt in meinem Alter, dass ich die Tür nicht mehr aufkriege!“. Was für ein Schwachsinn. Ich höre das so oft, dass manche sagen ich bin schon 60 oder 70, ich kann nicht mehr so schnell lernen wie ein Fünfjähriger. Dann frag ich, wo hast du den Blödsinn aufgeschnappt? Ich habe letztens in der Schweiz 230 Menschen vor mir gehabt. Sehr viele ältere, großteils Pensionisten plus, und die haben mir das auch wieder gesagt. „Wir sind schon so alt, und das geht so nicht und wie stellst du dir das vor?“. Und dann habe ich sie gefragt. „Aber ihr gebt zu, dass ihr mal mit 5, 6 Jahren richtig schnell lernen konntet?“. „Ja, damals, da war man noch jünger….“. Sage ich: „Beobachten wir mal einen Fünfjährigen, wie der lernt und wie ein Erwachsener dem was beibringt. Und jetzt beobachtet mal Euch, wie ihr Euch gegenseitig was beibringt. Welcher Punkt ist gleich geblieben?“.  Antworte das Publikum: „Gar keiner, wir machen alles anders.“ Aha, wir machen alles anders wie zu dem Zeitpunkt, wo es funktioniert hat. Und dann sagen wir, es liegt am Alter? Habt ihr einen Knall?“. Und dann habe ich sie gefragt: „Darf ich euch die nächsten 60 Minuten behandeln, als wärt ihr sieben Jahre alt? Ich behandle euch wirklich so. Ich rede so mit euch, ich hüpfe so mit euch rum, ich mache das so mit euch.“ Sie haben Ja gesagt. Sie haben so schnell gelernt wie Siebenjährige. Nach einer Stunde habe ich das alles wieder rausgenommen und war wieder ganz seriös und habe wieder PowerPoint-Präsentationen genutzt, mit ganz viel Text, ohne Emotionen, ohne Bilder, ohne Lustiges. Betreutes Lesen nennt man das. Und dann hat natürlich nichts mehr funktioniert. Und dann habe ich gesagt: „Dann liegt es sicher an eurem Alter, an meinem Vortragsstil kann es ja nicht liegen“.  Und dann hat es ihnen das Gehirn mal so ein bisschen durchgeschossen.

Oder dann der, der sagt: „Ich habe ein schlechtes Gedächtnis, ich merke mir Zahlen und Namen nicht so gut.“. Sag ich: „Ja, hast du einen schlechten Bizeps? Hast du auch einen schlechten Arsch? Hast du schlechte Waden? Nein?“.  Wir sagen: Ich habe einen untrainierten Bizeps, ich habe untrainierte Bauchmuskeln. Oder kennst du jemanden, der sagt: „Ich habe schlechte Bauchmuskeln“? Es gibt keine schlechten Bauchmuskeln. Wenn du die trainierst, werden die stärker. Aber wenn ich sage, ich habe ein schlechtes Namensgedächtnis, bin ich ein Opfer. Wenn ich sage, ich habe ein untrainiertes Namensgedächtnis, weiß ich, was ich zu tun habe. Ich muss es trainieren! Und ich kenne keinen, der sein Namensgedächtnis ein bisschen trainiert hat und dann noch sagt, es ist schlecht. Und ich kenne keinen, der eine Zeit lang ausdauernd trainiert und sagt, er hat keine Ausdauer. Aber wir erwarten Dinge, dass wir sie einfach können beim Gedächtnis. Das funktioniert nicht. Wir müssen das ein bisschen trainieren. Und das vermittelt uns die Schule falsch, dass wir das gleich können müssen.

Du hast durchschnittlich 1300 Versuche gebraucht, um laufen zu können. Und in der Schule hast du einen Versuch bei der Schularbeit, wenn du brav bist, zwei. Wenn du Nachsitzen hast, dann drei. Und wie funktioniert denn das? Du kannst nicht in drei Einheiten Golf spielen lernen. Mit dreimal schwimmen gehen bist du immer noch kurz vorm Ersaufen. Das funktioniert so nicht!

Jetzt wäre es ja schön, wenn wir modernere Schulen hätten, die einen anderen Ansatz haben, einen Ansatz, den du uns gerade präsentiert hast. Es gibt ja auch alternative Schulen, Waldorf-Schule, Montessori-Schule. Gibt es denn vielleicht auch bald Leppe-Schulen?   

Die gibt es schon lange. Das ganze Lernen hat mit Waldorf, Montessori oder so überhaupt nichts zu tun. Auch der Schultypus ist nicht abhängig davon, ob gelernt werden kann. Es hängt von den Menschen ab, die dort stehen. Ich habe staatliche Schulen gesehen, die sind grandios. Ich habe staatliche Schulen gesehen, großteils 90 %, die waren katastrophal. Ich habe Waldorf-Schulen gesehen, die waren katastrophal. Ich habe Waldorf-Schulen gesehen, die sind gut. Es hängt nicht vom Schultyp ab, sondern wer dort steht, wer das leitet, wessen Vision dahinter steht. Aber ja, von mir gibt es etliche Schulen. Wir haben hunderte Projekte in ganz Europa, die meisten davon in Deutschland.

Deutschland ist das einzige Land mit Schulanwesenheitsgesetz, das so rigoros durchgesetzt wird. Es gibt zwar in anderen Ländern auch solche Gesetze, aber ich bin in diesen Ländern und ich erlebe das nicht so. Und die Deutschen sagen: „Wir haben das beste Schulsystem.“ Frage ich: „Warst du schon in anderen?“ „Nein!“. Ich schon. Und ich sage, es ist nirgendwo so strikt wie in Deutschland und trotzdem haben wir die meisten Projekte dort. Wir müssen sie nur verstecken.

Also, das heißt, Homeschooling zum Beispiel ist in Deutschland nicht erlaubt.

Ich hab auch ganz viele öffentliche, staatliche Schulen, die mit mir kooperieren und die da umswitchen in diese Richtung. Aber versteckt.

Finde ich diese Projekte auf Deiner Webseite? 

Wenn du die findest, findet sie der Staat auch. Wie lange stehen sie dann noch? Und wenn das ein gutes Projekt ist, was glaubst Du, wie schnell das voll ist? Sofort. Das heißt, es gibt sowieso nie Plätze.

Das heißt, in die Eigenverantwortung kommen und selber was auf die Beine stellen.

Du kennst es ja. Wenn irgendwo im Ort ein berühmter Mensch ist oder ein toller Sporttrainer, kriegst du bei dem eine Stunde? Nein. Wenn irgendwo eine gute Schule ist, das spricht sich rum, kriegst du dort noch einen Platz? Nein. Wir müssen es selbst machen. Dafür habe ich alle meine Inhalte, hunderte Videos kreiert. Es geht darum, in die Eigenverantwortung zu gehen, dezentral und unabhängig zu werden, selbst Lösungen zu schaffen. Ich kann dir nur Möglichkeiten geben. Ich gebe dir eine Bibliothek an Möglichkeiten. Aber ich kenne dein Kind nicht, und es darf nicht sein, dass ein Sesselfurzer bestimmen darf, wie Millionen Kinder behandelt werden müssen. Wenn du jetzt ein Kind hast, das zwei Monate zu früh geboren wurde, die brauchen mindestens zwei Jahre in der Entwicklung länger. Da können wir nicht sagen, dass er sieben ist wie alle anderen. Nein, der ist maximal erst fünf. Der kann das jetzt noch nicht. Wenn er dazu noch ein Introvertierter ist plus ein Scheidungskind, dann braucht er nochmal zwei Jahre länger. Mit dem muss ich ganz anders umgehen. Du als Mama, weißt das aber alles. Du weißt, wie die Geburt war, wie war es danach, wie ist das Elternteil, wie ist die Vorbildebene zu Hause? Ist das ein Körperlicher, ist das ein Emotionaler, ist das ein Logiker, ist das ein Introvertierter, ein Extrovertierter? Du weißt das alles, ich nicht. Also kann es nur richtig sein, wenn Eltern, Kinder und die guten Lehrer vor Ort entscheiden dürfen. Dezentral. Alle dürfen mitbestimmen, nicht irgendein Politiker. Der darf Vorgaben geben, der darf Vorschläge geben, der darf Weisheiten von sich geben und ihr müsst entscheiden, ob er das anehmt oder nicht. Und ich gebe Möglichkeiten, Lösungsvorschläge und jeder nimmt sich das, was er möchte. Und es wird nicht einen Schultypus geben, auch wenn jetzt alle Ricardo-Schulen machen. Für manche wird das nicht passen, weil sie im Bewusstsein nicht dort sind. Und jeder muss entscheiden: Wo will ich hingehen? Deswegen heißt es bei mir Schule der Zukunft in zwei Schritten. Es braucht Übergangsschritte und jeder kleine Schritt ist okay. Der einzige wirklich wichtige Schritt ist, zu entscheiden, ob ich ab jetzt bereit dazu bin zu lernen, zu wachsen, mich ständig zu hinterfragen und es jeden Tag ein bisschen besser zu versuchen. Das ist der einzige Schritt, den man wirklich gehen muss. Und dann gibt es alle Möglichkeiten. Und wenn du sagst: du machst eine Katharina-Schule, ich mache eine Ricardo-Schule, dann gibt es eine Waldorf-, eine Montessori- und eine XYZ-Schule, und der, der als Nächster eine Schule macht, der sagt: Ach, ich nehme mir 10 % von der Katharina, 20 % von Ricardo, 30 % von der Vera Birkenbihl und den Rest habe ich eigene Ideen. Dann bist du auf dem richtigen Weg.

Also ich bin Mama. Ich habe mich auf Deiner Webseite umgesehen und kann jeden nur dazu auffordern, da unbedingt mal vorbeizuschauen. Ich möchte diese Gelegenheit auch nicht verstreichen lassen, dir ein ganz großes Dankeschön zu sagen. Es ist unglaublich, wie viel Wissen in welch guter Qualität du dort zur Verfügung stellst für Mütter, Eltern, für jeden letztendlich, der mit Lernen und Kindern und mit dem Leben zu tun hat. Vielen herzlichen Dank.

Es lohnt sich absolut darauf zu gucken und es ist sogar kostenlos. Also die Ausrede „Ich kann mir das nicht leisten“ zählt nicht. Du stellst das zur Verfügung. Trotzdem möchte ich auch hier dazu aufrufen, auch wenn es kostenlos ist,  wem es gefällt, zu spenden. Dafür seid ihr sicherlich immer offen. Ein großes Dankeschön, wirklich ganz toll, was du da auf die Beine stellst – ich glaube zusammen mit deinem Bruder und Familie. Ein tolles Projekt. Ricardo, vielen herzlichen Dank für das Interview, für den kurzen Einblick in das, was du machst. Ich hoffe, dass ganz viele Lust haben, jetzt mal bei dir auf der Seite vorbeizuschauen und sich ein bisschen inspirieren zu lassen.

Vielen Dank für deinen Einsatz und die Möglichkeiten dazu.

Wissen schafft Freiheit
www.wissenschafftfreiheit.com

2 Comments
  • Pingback:EN Aktuell September 2023 - EN-Aktuell
    Posted at 11:36h, 05 September Antworten

    […] Unser Spezial dreht sich dieses Mal um das Lernen und wir konnten in diesem Zuge den wunderbaren Ricardo Leppe zu einem Interview gewinnen, der im Bereich Schule und Lernen wichtige Denkanstöße gibt und der […]

  • Pingback:Podcast: Interview mit Ricardo Leppe - EN-Aktuell
    Posted at 17:15h, 05 September Antworten

    […] Ricardo Leppe hat sich längst über die Grenzen seiner Heimat Österreich hinaus einen Namen gemacht. Ricardo träumt nicht nur von besseren Schulen und modernen Lernmethoden, er hat eine Vision von der Schule der Zukunft und zeigt unter anderem Lerntechniken, die Kindern nicht nur Spaß machen, sondern in einem Bruchteil der normalen Lernzeit zum Ziel führen. Wir hatten die Möglichkeit mit ihm zu sprechen. […]

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