DER ZWERGENKÖNIG VON BURG HARDENSTEIN IST ZURÜCK, UM SEINE MEINUNG KUNDZUTUN
Ihr wisst, liebes Menschenvolk aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis, ich bin ein uralter, weiser Zwergenkönig und habe schon viel gesehen und erlebt. Ich erinnere mich an Zeiten, in denen man abends am Herdfeuer saß und den Kindern aus alten, schweren Büchern vorlas. Nicht aus Apps, sondern aus Seiten, die nach Geschichte rochen. Heute aber lebt ihr im Zeitalter der Technik. Ihr habt Lernapps, Spracherkennung, künstliche Intelligenz, digitale Lernspiele und jede Menge bunter Bildschirmwelten.
Und doch können eure Kinder immer schlechter lesen. Ist euch das bewusst?
Laut einer aktuellen Studie, die ihr IGLU nennt, erreicht ein Viertel der Viertklässler in Deutschland nicht einmal das Mindestniveau beim Lesen. Das entspricht jedem vierten Kind, wohlgemerkt. Lehrer berichten, dass viele Kinder nicht einmal einfache Sätze fehlerfrei lesen oder verstehen können. Und das sind keine Einzelfälle. Es ist ein erschreckender Trend und ein unendlich trauriger dazu. Euer Nachwuchs kann von Jahrzehnt zu Jahrzehnt immer schlechter lesen, kennt immer weniger Geschichten und Bücher. Woran liegt das, fragt ihr euch. Dabei müsst ihr euch nur umschauen. In euren Wohnungen stehen smarte Lautsprecher, aber es wird kaum noch vorgelesen. Der Wortschatz schrumpft, weil Sprache nicht gelebt wird. Medienkonsum ersetzt kein Gespräch, kein gemeinsames Schmökern, kein lebendiges Vorlesen. Dann ist da die Schule. Dort wird mit Lehrermangel, überfüllten Klassen und unterschiedlichen Sprachniveaus gekämpft. Zudem bleibt kaum Zeit für individuelle Förderung. In vielen Familien kommt noch soziale Unsicherheit dazu, Sprachbarrieren, fehlende Bücherregale, kein ruhiger Platz zum Lesen. Und so wächst eine Generation nach der anderen heran, die technisch so ausgestattet ist wie nie zuvor, aber beim Lesen große Schwierigkeiten zeigt. Ich frage mich: Was ist eine Gesellschaft wert, die vergisst, wie man Geschichten weitergibt? Die sich von kleinen und großen Bildschirmen hypnotisieren lässt und selbst immer weniger liest und schreibt. Dabei gibt es sie noch, die kleinen Wunder in Buchform. Ich habe selbst mit klobigen Fingern mit den jungen Zwergenkindern im Grüffelo geblättert. Dieses herrlich gereimte Abenteuer eines kleinen Mäuserichs, der so viel List und Mut beweist, hat uns oft zum Schmunzeln gebracht. Ich habe laut gelacht über die Olchis und ihre Vorliebe für alles, was stinkt und gammelt. Ich habe mitgefühlt mit der kleinen Maus in Der Löwe in dir, die leise, aber tapfer den Felsen erklomm, um Brüllen zu lernen wie ein Löwe. Und wenn ihr wissen wollt, was es heißt, sich Zeit zu nehmen, dann lest Momo. Das ist keine Pflichtlektüre. Das ist ein Geschenk. An jedes Kind. Und auch an euch selbst. Doch ich will nicht nur klagen. Ich freue mich, dass es auch hier bei uns im Ennepe-Ruhr-Kreis Menschen gibt, die sich nicht damit abfinden, dass die Kinder unserer Heimat immer schlechter lesen können. Ich habe verschiedene Menschen beobachtet, die sich im Verein Mentor – Die Leselernhelfer engagieren. Dieser bringt Erwachsene mit Kindern zusammen, um regelmäßig gemeinsam zu lesen. Einmal pro Woche, eins zu eins, ruhig und persönlich. Das hilft nicht nur, es lässt Magie entstehen. Nicht nur bei den Kindern, auch bei den Erwachsenen. Es hat einen Grund, dass die Reporter vom EN-Aktuell Magazin schon mehrfach mit diesen engagierten Alltagshelden gesprochen haben, weil dieses Ehrenamt so leise, so wunderbar und gleichzeitig so wichtig ist. Wer mit einem Kind liest, verändert die Welt eines Menschen. Und auch die Welt eines Zwergen, das kann ich mit meinen vielen hunderten Jahren Lebenserfahrung bestätigen. Wenn also auch du, werter Leser, ein Kind hast, ein Enkelkind, ein Nachbarkind oder vielleicht ein Patenkind, dann ergreife noch heute ein Buch. Lese dem Kind oder den Kindern vor. Mehrfach die Woche, für ein Viertelstündchen, ohne Druck, ohne Technik, ohne Ablenkung. Und wenn das Kind dich dann fragt: „Liest du morgen weiter?“, dann muss ich dir wohl nicht sagen, dass du alles richtig gemacht hast. Technik kann in unserer Welt helfen, ja. Aber sie ersetzt nicht das menschliche Miteinander. Nicht das Leuchten in den Augen beim Umblättern. Nicht das Flüstern einer Geschichte, die mitten ins Herz trifft. Also, lieber Leser meiner Kolumne, liebe Menschen da draußen: legt das Handy beiseite. Greift zum Buch. Lest laut. Lest mit verschiedenen Stimmen. Lest im Bett, im Garten und auf dem Boden im Kinderzimmer. Lasst euch gemeinsam mit euren Kindern in Geschichten saugen.
Hochachtungsvoll
Goldemar Zwergenkönig v. Burg Hardenstein