Der Artikel „BEI UNS IST ALLES AUTHENTISCH, LIVE UND DAMIT LEBENDIG – Interview mit Dorothee Schumacher vom Verein Kulturgemeinde Ennepetal e.V.“ erschien in der EN-Aktuell 04/25. In der Zeitschrift ist nur ein gekürzter Teil des Interviews zu lesen. Das komplette Interview finden Sie hier – zum Anschauen, Anhören oder Lesen.
Das Interview anschauen statt lesen
Sie möchten das Interview lieber anschauen statt es zu lesen? Kein Problem, hier können Sie sich das Interview ansehen oder anhören:
„Bei uns ist alles authentisch, live und damit lebendig“
Liebe Frau Schumacher, vielen lieben Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Wir befinden uns gerade in einer Räumlichkeit, die man vielleicht für ein Interview nicht sofort als erste Wahl nimmt, aber vielleicht eben doch. Wo befinden wir uns gerade?
Wir befinden uns in den Räumen für die Künstler, die bei uns in der Kulturgemeinde auftreten. Und wir sind im Gymnasium und der Stadt Ennepetal so dankbar, dass wir diese Räumlichkeiten nutzen dürfen. Das heißt, wir nutzen die Aula und wir haben auch Künstlergarderoben.
Und in so einer Künstlergarderobe befinden wir uns jetzt gerade. Frau Schumacher, Sie sind Vorsitzende der Kulturgemeinde Ennepetal, einem Verein mit Wurzeln seit 1949. Welche Vision haben Sie übernommen und wie möchten Sie diese weiterentwickeln?
Als wir die Kulturgemeinde übernommen haben, stand sie davor aufgelöst zu werden. Mein Mann und ich sind sehr blauäugig daran gegangen. Wir hatten uns während unserer Arbeitszeit oft einen Freitagabend gegönnt, da war immer die Multivision, und fanden das ganz toll. Wir kommen aus Wetter und wir hätten nie gedacht, dass wir diese Institution mal führen würden. Und als dann der dritte Brief kam, dass das aufgelöst werden würde, haben wir gedacht, dass das so schade ist und wenn sich keiner findet, dann machen wir das. Wir wussten nicht, wie viele Mitglieder dieser Verein hat. Wir kommen beide aus dem Schuldienst, aus führenden Positionen und haben gedacht, das schaffen wir auch noch. Und als wir dann auf die ganze Arbeit gestoßen sind, die unsere Vorgänger geleistet haben, hatten wir Respekt. Und dann mussten wir uns ganz langsam da reinfuchsen. Aber ohne die Menschen, die uns damals geholfen haben aus dem Umfeld von Ehepaar Adam, wäre das nicht möglich gewesen. Sie waren da und haben uns die ganzen Kleinigkeiten gezeigt. Und auch ohne die Unterstützung von den Adams, die uns noch zwei Jahre im Hintergrund weiter unterstützt haben, hätten wir das ganz schlecht geschafft.
Die Vision ist eigentlich: so etwas wie die Kulturgemeinde, die 75 Jahre alt ist, das darf nicht untergehen! Das muss weitergehen. Das muss aber ein bisschen neuer gedacht werden. Auch jüngere Leute müssen wissen, dass man hier hinkommen kann. Bei „Wunderschön“ kann man auch Reiseberichte sehen, da sitzt man zu Hause. Aber hier geht man hin, hier hat man eine Pause. Und es ist ein Unterschied, ob ich etwas auf dem Bildschirm sehe oder da sind Leute, die da vorne stehen, die dafür brennen und einen ganz anders mitnehmen. Und dann hat man eine Pause und dann redet man darüber und dann geht man zurück. Ich glaube, der Abend hat eine andere Qualität. Und das würden wir gerne vermitteln.
In der Satzung heißt es, der Verein ist „eine große und lebendige Kulturinstitution der Region“.Wie würden Sie in einem Satz definieren, was „lebendig“ für Sie konkret bedeutet. Und inwiefern gelingt das in Ennepetal?
Lebendig heißt für mich, dass Menschen kommen und gehen und an etwas teilnehmen und auch neue Impulse geben. Das ist für mich lebendig. Kultur ist für mich breit gefasst und wir sind ja auch der Volksbildung verpflichtet. Unser Standbein sind Multivisionen. Da kommen die Menschen aus der ganzen Umgebung her. Aber das haben wir nicht nur. Wir haben Musik und zwar die verschiedensten Genre der Musik. Wir haben Folkmusik, wir haben Klassik, wir haben jetzt ein Musical, wir haben Rock’n’Roll gehabt. Und wir haben wissenschaftliche Vorträge. Mit den Lesungen haben wir uns ein bisschen zurückgezogen, weil sehr viele Büchereien und Buchhandlungen damit auch nebenher sich so ein bisschen in die Öffentlichkeit gebracht haben. Wenn dann machen wir szenische Lesungen mit Musik. Aber wissenschaftliche Vorträge sind uns auch wichtig. Und zur Stadt Ennepetal: ohne diese Unterstützung gäbe es uns nicht. Das war damals schon bei Herrn Köhler so, dass er ganz starke Unterstützung der Stadt Ennepetal hatte. Ohne die Stadt Ennepetal, die uns die Aula mit zur Verfügung stellt, die uns unterstützt, wenn wir terminliche Sachen haben. Wenn ich bei der Stadtverwaltung Ennepetal anrufe, bin noch nie abgeblitzt. Man hat mir immer total schnell und gut geholfen. Und ich glaube, dass das für Ennepetal etwas ist, was besonders ist. Obwohl Gevelsberg so eine starke Kultur hat: eine Kulturgemeinde hat Gevelsberg nicht!
Sie hatten gerade selber gesagt, Sie bieten ein sehr breites Spektrum an. Von Multivisionen über Tagestouren bis hin zu Konzerten. Welche dieser Formate liegt Ihnen persönlich am meisten am Herzen und warum?
Am meisten mag ich Multivision und Musik. Aber es gibt auch viele wissenschaftliche Vorträge.
Aber ich glaube, ich mag die Multivision, weil ich gerne reise. Das ist für mich etwas ganz Besonderes.
Sie hatten vorhin Ihre Anfangszeit beschrieben. Können Sie denn sagen, welche Herausforderung für Sie bislang die größte bei der Leitung der Kulturgemeinde war: sei es organisatorisch, finanziell oder inhaltlich?
Also ich finde die Organisation eines Vereins in der heutigen Zeit ungemein schwierig. Weil man muss an Gema-Gebühren denken. Das ist schon ein riesiger Berg, den man da erklimmen muss. Das habe ich oft mit gehadert. Dann müssen alle Sachen angeschaut werden, die die Finanzen betreffen. Wie lange ich gebraucht habe, einen Nachfolger für Herrn Adam als Schatzmeister zu finden! Jetzt habe ich einen super Nachfolger. Da bin ich heilfroh, da er auch Steuerberater ist, und mir jetzt viel Last abnimmt. Dann muss man lernen, wie man einen Tag organisiert, an dem eine Veranstaltung ist. Und auch, wie man mit den Künstlern verhandelt. Es gibt so manche Künstler, die haben Vorstellungen, wo ich denke. „Hmmm…!“.
Aus finanzieller Natur?
Finanziell, ja. Aber das sind nur wenige. Und das muss man auch lernen. Wo ist es gerechtfertigt? Und wo denkt man sich: „Das ist aber ein bisschen hochgegriffen!“. Also dieses Verhandeln, was man vielleicht auch in der Selbstständigkeit machen muss. Als Beamtin hatte ich das vorher nicht, aber jetzt musste ich das eben auch lernen. Also da waren viele, viele Dinge. Und das möchte ich nochmal betonen: wenn wir da nicht ein Team gehabt hätten, wo wir sowas immer besprochen haben, dann wäre das noch viel schwieriger geworden. Aber das hatten wir immer.
Ihre Zusammenarbeit im Team und Ihre gute Arbeit machen sich auch in Zahlen bemerkbar. Deswegen korrigieren Sie mich, wenn ich jetzt etwas Falsches vorlese. Sie haben dieses Jahr, wir sind Ende 2025, mehr Zuschauer als letztes Jahr.
Richtig.
Die Zahl Ihrer Mitglieder beträgt mittlerweile fast 1700. das konnten sie auch steigern. In Zeiten von Streaming, Social Media & Co. konkurriert Live-Kultur mit vielen Angeboten. Wie begegnet Ihr Verein dieser Herausforderung?
Wie gesagt, auch das Team. Ich glaube, dass die Leute es zu schätzen wissen, wenn sie hier hinkommen, dass sie aufgenommen werden. Und dieses Enepetaler Publikum ist was Besonderes.
Ist das Ennepetaler Publikum verwöhnt?
Würde ich nicht so sagen. Ich habe also das Publikum nie als verwöhnt erlebt, sondern neugierig. Positiv, kritisch. Also es kamen durchaus Leute, die sagten, sie wollen jetzt diese Tagesfahrten. Und sie wollen diese Konzertfahrten. Die wurden eingefordert. „Aber bei Herrn Köhler hatten wir doch immer…“, und „Herr Adam hat doch so tolle Fahrten mit uns gemacht…“ hieß es dann. Und dann mussten wir erklären: „Ja, aber wir sind noch nicht so lange dabei. Wir müssen da reinwachsen. Wir bieten auch nur einen ganz geringen Anteil an.“. Aber dass man immer mit den Leuten ins Gespräch kommt ist vielleicht genau das, was anders ist. Anders als soziale Medien, wo man das ja eigentlich nur über den Bildschirm macht. Bei uns ist alles authentisch, live und damit lebendig.
Der Verein lebt stark vom Engagement der Mitglieder. Welche Methoden nutzen Sie, um dieses Engagement hochzuhalten?
Deswegen dieses Team. Dieses Team sind ja nicht nur die Leute, die gewählt worden sind. Gerade jetzt, dadurch, dass wir zwei Menschen in einer ganz schwierigen gesundheitlichen Situation haben, fehlten uns Menschen, die in der Aula stehen, die die Gäste reinlassen oder die unsere Mitglieder reinlassen. Und da habe ich einfach einen Aufruf gemacht. Und dann kommen einfach Menschen aus dem Publikum und sagen, dass sie ein paar Tage in der Woche können und im Verlauf der Saison aushelfen. Und die kommen dann und die helfen uns. Die wollen dann nicht im Vorstand mitarbeiten, aber die sind dabei. Woran das liegt? Ich denke, das liegt an Ennepetal. Weil diese Kulturgemeinde durch meine Vorgänger so stark verankert ist in der Gesellschaft. Und das würden wir gerne der neuen Generation zeigen. Wir gelten oft als angestaubt und das ärgert mich. Ich fand das mal sehr ehrlich, als jemand das sagte.Und als wir das im Team besprachen, sagten alle: „Wir sind aber nicht angestaubt!“. Aber das ist ein langer Prozess, das nach vorne zu bringen.
Und Sie tun ja auch etwas dagegen. Sie bieten auch zukünftig Programme oder Veranstaltungen für meine oder für noch jüngere Generationen an. Was steht denn, wenn Sie einen Ausblick geben könnten, worauf können sich denn die Menschen in Ennepetal jeglicher Altersstruktur freuen?
Auf unser Musical. Das ist im März 2026. Da trauen wir uns zum ersten Mal an ein Musical: Poseidon. Und das ist für Menschen ab 9. Und da hoffen wir, dass Eltern mit ihren Kindern kommen.Es hat auch eine Thematik. Es hat auch was mit Meeresverschmutzung und Umweltschutz zu tun. Aber auch ganz viele ausgebildete, schöne Stimmen singen dazu. Ganz bekannte Arien. Ich will nicht zu viel verraten, da können Sie auch gerne mal auf unsere Homepage gucken. Aber das ist etwas, wo wir das einfach versuchen. Oder eben mit Herrn Klussmann, der Jäger aus der Sendung „Gefragt – Gejagt“ . Der ist bekannt durch die Medien und der kommt zu uns. Und der will mit dem Publikum agieren. Es ist nicht nur, dass jemand da vorne was macht, sondern er agiert mit dem Publikum. Das sind so die Dinge, wo ich sagen würde, da versuchen wir auch mal andere reinzuziehen.
Das klingt gut. Wenn Sie auf ein Ereignis oder eine Veranstaltung der Kulturgemeinde zurückblicken, die Sie persönlich besonders bewegt hat: welches wäre das, und warum?
Einige. Eine fand ich total schön. Das war eine Veranstaltung über Südgeorgien von einer Frau, die dort war und die so für diesen Umweltschutz und für die Antarktis brannte. Und das war eine wahnsinnig schöne Veranstaltung. Oder manche Bilder, manchmal verschwimmen auch die Bilder, weil das so viele verschiedene Referenten sind, die dann kommen.
Das Programm für nächstes Jahr steht schon. Welche Vision haben Sie für die nächsten 3-5 Jahre der Kulturgemeinde?
Ja, wir wollen ganz stark weiter jüngere Leute ansprechen. Durch Musikveranstaltungen aus dem Bereich Kleinkunstmusik. Und wir wollen auch unsere Multivision in die Richtung bringen, dass diese auch – ich will jetzt nicht sagen eine Message haben -, aber nicht nur Reisebericht sind, sondern auch ein bisschen auf Umweltproblematik, politische Dinge eingegangen wird. Und natürlich im wissenschaftlichen Bereich gucken, was bietet sich da. Eine gute Lesung möchten wir auch mal wieder machen, aber eine szenische Lesung mit Musik oder so etwas. Da sind wir jetzt im Moment auf der Suche und planen die Saison 26/27 schon.
Sie hatten vorhin über die Antarktis gesprochen. Ich habe mir sagen lassen, dass Sie sehr gerne reisen. Und diese Leidenschaft fürs Reisen, findet sich das auch in den Programmpunkten der Kulturgemeinde wieder?
Bestimmt. Das ist ja auch der Grund, warum wir gesagt haben, das darf nicht kaputt gehen. Weil wir haben ja den Arved Fuchs gesehen, der hier aufgetreten ist. Und wir haben so viele Multivisionen gesehen – wir aus Wetter kommend, in Ennepital, weil wir das so toll finden. Und insofern spielt das auch eine Rolle.
Eine kleine Fragerunde als Abschluss: Ich werfe einen Begriff in den Raum und Sie sagen mir, welchen Impuls Sie oder welche Gedanken Ihnen als erstes dazu einfallen.
Kunst:
Musik. Malerei. Alles das, was die gute Seite des Menschen betrifft. Im Gegensatz zu der dunklen Seite.
Gemeinschaft:
Ganz wichtig. Fehlt uns oft in der heutigen Zeit. Hält eigentlich die Menschen viel mehr zusammen als alles andere. Ist mir ganz wichtig.
Applaus:
Gefährlich. Kann man abhängig von werden. Muss man sehr aufpassen.
Begegnung:
Bereichernd. Kommt man nach Hause und denkt: „Boa, was ist heute abgegangen, wie toll war das!“.
Zukunft:
Bin ich ein positiv denkender Mensch? Wir haben große Herausforderungen, aber wir werden sie annehmen. Anders kann man nicht überleben.Die Menschheit hat schlimme Dinge hinter sich. Und ich denke immer positiv.
Heimat:
Ganz wichtig für mich. Beim Heimatpreis war da eine tolle Frau, die sagte: „Was ist Heimat? Heimat ist nicht nur der Raum, in dem ich lebe. Heimat sind für mich die Menschen, mit denen ich zusammenlebe. Und die mir das Gefühl geben, dass ich dahin gehöre. Und dass ich so genommen werde, wie ich bin.“
Mit diesen Worten enden wir. Sie und Ihre Kulturgemeinde, Ihr ganzes Team, sie bereichern zumindest meine Heimat Ennepetal. Vielen lieben Dank dafür. Ich wünsche Ihnen und Ihrer Kulturgemeinde alles erdenklich Gute. Ich freue mich auf die nächsten Monate und die Jahre mit Ihnen.
Danke schön.
Daten zum Verein Kulturgemeinde Ennepetal e.V.finden Sie unter www.kulturgemeinde-ennepetal.de/


